Besondere Tisch–Ereignisse
14:41 Uhr
orbi Fortsetzung zum 17.08. Betrachtungen zu Afghanistan
Orbi/Afghanistan:
Präsident Bidens - hier zusammengefasste - Begründungen zum hastigen Abzug in seiner Ansprache an die Nation am 16. August sind ja durchaus nachvollziehbar, nur kommt die Entscheidung Jahre zu spät, viel zu plötzlich und wieder gänzlich unvorbereitet, weil vom Vormarsch der Taliban und dem nahezu Komplett-Desertieren der regulären Armee völlig überrascht. Kein Wunder, dass die ganze Welt minus Nato-Westen Häme zeigt und wir alle uns nicht nur wegen der chaotischen Bilder vom Kabuler Flughfen ans Vietnam-Desaster erinnert fühlen.
"I want to remind everyone how we got here and what America’s interests are in Afghanistan. We went to Afghanistan almost 20 years ago with clear goals: get those who attacked us on September 11th, 2001, and make sure al Qaeda could not use Afghanistan as a base from which to attack us again. We did that. We severely degraded al Qaeda in Afghanistan. We never gave up the hunt for Osama bin Laden, and we got him. That was a decade ago...
Our only vital national interest in Afghanistan remains today what it has always been: preventing a terrorist attack on American homeland. I stand squarely behind my decision. After 20 years, I’ve learned the hard way that there was never a good time to withdraw U.S. forces. If anything, the developments of the past week reinforced that ending U.S. military involvement in Afghanistan now was the right decision. American troops cannot and should not be fighting in a war and dying in a war that Afghan forces are not willing to fight for themselves. We spent over a trillion dollars. We trained and equipped an Afghan military force of some 300,000 strong — incredibly well equipped — a force larger in size than the militaries of many of our NATO allies. We gave them every tool they could need. We gave them every chance to determine their own future. What we could not provide them was the will to fight for that future...
And here’s what I believe to my core: It is wrong to order American troops to step up when Afghanistan’s own armed forces would not. So I’m left again to ask of those who argue that we should stay: How many more generations of America’s daughters and sons would you have me send to fight Afghans — Afghanistan’s civil war when Afghan troops will not? How many more lives — American lives — is it worth? How many endless rows of headstones at Arlington National Cemetery? I’m clear on my answer: I will not repeat the mistakes we’ve made in the past — the mistake of staying and fighting indefinitely in a conflict that is not in the national interest of the United States, of doubling down on a civil war in a foreign country, of attempting to remake a country through the endless military deployments of U.S. forces. Those are the mistakes we cannot continue to repeat. Our mission in Afghanistan was never supposed to have been nation building. It was never supposed to be creating a unified, centralized democracy...."
Nun, vor Tisch klang's mal anders. Bin Laden hätten die Navy Seals in Pakistan auch so auftreiben können, und Al Qaida hat sich trotzdem und in mehr failed states unter verschiedenen Namen vermehrt. Da fragt man sich "warum nicht gleich so?" bei diesen Sätzen von Biden "We conduct effective counterterrorism missions against terrorist groups in multiple countries where we don’t have a permanent military presence. If necessary, we will do the same in Afghanistan. We’ve developed counterterrorism over-the-horizon capability that will allow us to keep our eyes firmly fixed on any direct threats to the United States in the region and to act quickly and decisively if needed."
Nochmal, vor Tisch klang's anders, schon gar bei uns. Im Dezember 2002 hörten wir P. Strucks "Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt." Und pazifistisch- bewegt sollte die Bundeswehr zwar hin, aber natürlich nicht schießen, sondern Brunnen bohren, Infrastruktur aufnorden, vielleicht den Mohnanbau kontrollieren, Polizisten und Soldaten Regeln beibringen, ok auch ein wenig am Schießstand üben lassen. Hehrer, friedensbewegter, gutmenschlicher: Wir wollten nation building in traditionell westlicher Demokratieform, Selbstbestimmung der Frauen ohne Burka, Bildung auch für Mädchen usw. betreiben. Irak - war da was?!
Wenn man so hehre Ziele anstrebt, aber den 'Patienten' wie eine heiße Kartoffel fallen läßt, wenn es enger wird, muss man sich doch - und nicht erst jetzt in Afghanistan - fragen, wieso sich der Westen eigentlich herausnimmt, nation building allein nach seinen Vorstellungen betreiben zu dürfen? Hat nicht jedes Land das Recht, seine Vorstellungen von Staatlichkeit nach eigenem gusto zu entscheiden, auch wenn es nicht unseren Geschmack trifft? Können wir nicht endlich einsehen, dass Demokratie beispielsweise eine bestimmte Staatsphilosophie braucht, die in anderen Weltgegenden aus geschichtlichen, religiösen, sonstigen Gründen nicht geteilt wird? Die bestenfalls sich entwickelt, nicht übergestülpt werden kann. Demokratie, die zum Funktionieren auch voraussetzt, dass der Anteil der Analphabeten und Armen an der Gesamtbevölkerung gering ist - Gruppen, deren Stimmen beispielsweise in Indien, Pakistan von Großgrundbesitzern gekauft werden, weshalb man die dortigen Demokratien eigentlich nur in Anführungszeichen schreiben kann? Afghanistan außerhalb der großen Städte wäre nicht anders geworden.
Schon Obama (Syrien, Libyen) hatte längst keinen Willen mehr zur Rolle des 'Weltpolizisten' und Trump weder die Absicht noch the guts. Und nun auch Biden. So konnten die Taliban, nachdem sie Trumps und Bidens Administration über ein Jahr lang in Doha an der Nase geführt hatten und sich derweil bestens auf den Vormarsch vorbereitet haben, das Land in kürzester Zeit wieder einnehmen - und damit auch gewaltige Mengen an modernem Kriegsmaterial einsacken, das 'der Westen' für mehr als eine Billion $ ("over a trillion") geliefert hatte. Und wer den Spott hat, braucht für den Schaden nicht mehr zu sorgen - oder war's umgekehrt. Chinas Propaganda-Apparat konnte sich die Schadenfreude über den amerikanischen Gesichtsverlust in Afghanistan nicht verkneifen. „Chinesische Internetnutzer machen Witze darüber, dass die Machtübergabe in Afghanistan sogar noch reibungsloser vonstatten geht als die Übergabe der Präsidentschaft in den Vereinigten Staaten“, schrieb der einflussreiche Chefredakteur der Parteizeitung Global Times, Hu Xijin, auf Twitter. Die Volkszeitung, die offizielle Stimme der Kommunistischen Partei, berief sich ebenfalls auf den angeblichen Volksmund und kommentierte, „die zwanzig Jahre Krieg enden wie ein Witz. Amerikanische Soldaten sind für nichts gestorben. Die Taliban sind zurück und der einzige Unterschied ist, dass viele Menschen gestorben sind und amerikanische Steuerzahler ihr Geld verschwendet haben, indem sie die militärisch-industriellen Tycoons gefüttert haben“. Das Land sei nicht mehr als ein „Papiertiger“. Und Deutschland dann wohl ein winziges Schnurrkätzchen, dessen Außenminister-Lachnummer trotz frühzeitiger Warnungen der Botschaft in Kabul nicht mal die Maus sieht, die auf seiner Nase tanzt - und inzwischen die Schuld am Versagen 'den Geheimdiensten' zuschiebt.
Wer behauptet, man habe das alles nicht kommen sehen können und noch genug Zeit mit der Evakuierung auch der sog. Ortskräfte, kann sich nicht wirklich mit Geschichte und Mentalitäten dieser Region befasst haben.
Geschichte wiederhole sich nicht, besagt ein gängiger Aphorismus, aber man könne aus ihr lernen. Nun, die (Kriegs)Geschichte Afghanistans kennt zumindest zwei Phasen, in denen sie sich mehrfach wiederholt: In der ersten Phase, den 1.000 Jahren seit Alexander des Großen 'brutalstmöglichem' 3-Jahres-Krieg im damaligen Baktrien über die nicht minder grausamen Niederwerfungen durch Araber, Perser und Mongolen bis zu Timur/Tamarlan von Samarkand, dem wohl grausamsten von allen und letzten Begründer eines Weltreichs der älteren Geschichte, wurde 'das Land' immer wieder besiegt, unterworfen. Die Besatzer kannten keinerlei Hemmungen, ganze Städte dem Erdboden gleich zu machen, ohne geringste Schonung der Bevölkerung. In der zweiten Phase hingegen zwischen Mitte des 19. Jahrhunderts und jetzt zogen sich Briten, das zaristische Russland, zweimal das sowjetische Russland und nun auch die Westallianz wie geprügelt davon. Was lernt man aus beidem? Wenn ein gewisses Maß an Humanität das Denken der Kriegslenker beeinflußt, sollte man besser 'die Finger davon lassen'. Spätestens aus dem Desaster der Sowjets vor 40 Jahren haben die afghanischen Kämpfer jedenfalls gelernt, dass mit Geduld und Nadelstichen on the long run mehr erreicht werden kann als mit modernstem Kriegsgerät. Gern wird das vermutlich britische, die Niederlage vor knapp 200 Jahren kaschierende Malmot von "Afghanistan the Graveyard of Empires" bemüht. Wenn auch unzutreffend, denn kein Großreich ist an Afghanistan zerbrochen - vielleicht, nach Meinung mancher Historiker, mit Ausnahme der Sowjetunion, deren Zerbröseln nach dem schmachvollen Abzug aus Afghanistan begann, nicht zuletzt wohl, weil die wirtschaftliche Belastung der 4 Jahre Krieg den Staatshaushalt in die Knie zwang.
Wie man Kriege in A. friedvoll zuende bringen kann, hat uns Alexander d.Gr. gezeigt: Nachdem er alles niedergemetzelt hatte, heiratete er eine baktrische Prinzessin... Und gut war.