Besondere Tisch–Ereignisse
21:40 Uhr
Trump beherrscht die Schlagzeilen
Rätst Du, wer es ist?
Liebe Tischfreunde, helft mir, ein Rätsel zu lösen:
"Psychogramm eines, der auszog, Alleinherrscher zu werden." Rätst Du, wer es ist?
„Über XY, den Chef seines Landes", sagt man, "sein Hass auf das abgehobene politische Führungspersonal, sein Widerwillen gegen dessen Wertehochmut habe ihn dazu angestiftet, das bisherige Regierungs-, Führungssystem radikal in Frage zu stellen. Persönlich ohne wirklichen Rückhalt aus dem politischen Establishment, war er an die Spitze gekommen. Als eine Art Volkstribun, der die Massen mit seinen Sprüchen und Auftritten sozusagen auf (noch nicht existentem) Privatsenderniveau unterhielt, so, dass sie nach immer mehr schrieen, wann immer er redend in seiner Anhängerschaft badete. Seine rhetorische Unberechenbarkeit war früh schon seine stärkste Waffe. Niemand wusste, was er als Nächstes sagen würde. In welche Richtung seine Ausfälle nun gehen könnten. Aber genau das brachte ihm Sympathien bei seiner großen Anhängerschaft ein. Hatte ihn stark gemacht. Zu seinem Programm erklärte er, alte Strukturen aufzubrechen und vom machtkorrupten Establishment zu säubern.
Die bisherige staatliche Ordnung in seinem Land beruhe auf Scheinheiligkeit, Opportunismus, sei darauf angelegt gewesen, den kategorialen Widerspruch zwischen Machthaber und politischer Hauptstadt zu kaschieren. XY hingegen stellt ins grelle Licht, was vordem vornehm verborgen geblieben war. Durch groß angelegte Baumaßnahmen, populäre Beschäftigungsversprechen, ja selbst eigene sexuelle Übergriffe demonstriert er seine Macht, gezielt demütigt er die Vertreter der politischen Klasse, schüttet Häme aus über seine politischen Gegner, eigentlich gegen alle, die er gegen sich vermutet. XY begeistert sich für triviale Formen der Abwechslung, der öffentlichen Unterhaltung, gerade weil das nicht den gesellschaftlich eingeübten Verhaltensnormen entspricht. Er ‚spuckt’ auf die politische Elite und bekommt dafür Beifall von den Massen seiner Anhängerschaft. Diese erfreuen sich daran, die guten (nicht nur politischen) Sitten, die althergebrachten Traditionen verletzt, ja, entehrt zu sehen.
Wer von Geld war, trieb Politik, und wer Politik betrieb, war von Geld – an diesen Grundsatz hatte sich die politische Gesellschaft lange gehalten. Aber nun ist einer gekommen, der noch mehr von Geld ist, der seine engsten Familienangehörigen, ja seinen Dienstchauffeur zu Schlüsselpersonen in seiner Regierung ernennen will, um deutlich zu machen, wie wenig ihm der traditionelle Wertekanon noch bedeutet, wie entschieden er auf seine herausgehobene Machtposition setzt. XYs Handeln richtet sich gegen die alte Führungsschicht und die traditionelle Form der Politik. Er holt andere gesellschaftliche Schichten in seinen Amtssitz, macht politisch un(vor)gebildete Personen und krasse Außenseiter zu seinen Vertrauten.
Die Berichterstattung, deren Vertreter selbst zum etablierten Establishment/inner circle gehören, dessen Macht XY ein für alle Mal brechen will, antwortet auf XYs Erscheinung mit Polemik und Karikatur: Er wird zum einfältig-ungebildeten Schreckgespenst stilisiert, als sexgeiler Bock, dem jede Weltläufigkeit abgeht. Vor allem aber wird bei ihm „Unzurechnungsfähigkeit“ diagnostiziert. XY, der „wahnsinnige“ Machthaber ohne politischen Sinn und Verstand.
Nicht alle Analysten folgen diesem Schema. Sie sehen hinter XYs Verhaltensweisen durchaus rationale Muster, den Ausbruch aus der bisherigen „doppelbödigen“ Kommunikation zwischen Machthaber und politischer Elite. XY suche die Auseinandersetzung mit der politischen Elite nicht mehr auf dem scheinheiligen Weg der marode gewordenen Praxis von Geben und Nehmen/do ut des/checks and balances, sondern in offensiver Konfrontation. In seinem „Wahnsinn“ spiegele sich vielmehr die Schwäche des alten Systems. XYs Handeln folge demnach einem klaren Kalkül: der systematischen Demütigung der alteingesessenen Politelite. Von den Massen seiner Anhänger, die XY gegen erstere aufputsche, lasse er sich den Steigbügel halten, ein zynisches Spiel mit dem (angeblichen) Willen des Volkes. „Wahnsinnig“ sei daran wenig. Der Schrecken rühre viel eher daher, dass die vermeintliche Unberechenbarkeit klar berechnet sei. Das böse Erwachen seiner Anhängerschaft sei inhärent, aber bis dahin habe XY noch mehr von dem, wonach sein Sinn wirklich stehe.
Einmal soll XY beim Essen im Kreise seiner Regierungsmitglieder in seinem Amtssitz unvermittelt in schallendes Gelächter ausgebrochen sein. Nach dem Grund gefragt, erwiderte er glucksend: „Ein Wort von mir, und Ihr seid auf der Stelle entlassen.“
Dem Hochmut der Politeliten ist der Boden entzogen. Die ehrwürdigen Werte sind dahin. Es zählt nur noch, ein guter Geschäftemacher zu sein und dabei noch öffentlichkeitswirksame, meist schale Witze zu reißen. Aber zum Lachen ist vielen, sehr vielen ohnehin schon nicht mehr zumute.
Allerdings erscheint XY im Inneren nicht sorgenfrei, wie er seinem Shrink anvertraut: Ihm träume regelmäßig, er habe seinen besten Wachoffizier immer wieder als „pussy“ verhöhnt – bis dieser irgendwann seine Waffe zog und ihn tötete."
Euer auf Erhellung durch Euch setzender
Literatus
Liebe rätsellösende Heimatfreunde!
Danke fürs Miträtseln!
Also, nein, es war nicht Mr. Trump – mit so was Trivialem hätte ich mich Euch nicht zu nähern gewagt.
Die Politrätsel-Auflösung:
Bei aller (beabsichtigten) Ähnlichkeit mit Trump – er ist es nicht, sondern der junge Mann, dessen Herrscherstil in den vier Jahren seiner Machtausübung so frappant dem von Trump in seinen noch nicht 100 Tagen Amtszeit gleichend geschildert wurde. Auszuschließen ist wohl, dass Trump ihn nachahmt, denn er wird vermutlich noch nie von diesem berühmten Vorbild gehört haben, dessen tyrannenbeliebter Leitspruch „Oderint dum metuant!“/Hassen mögen sie mich, solange sie mich fürchten! Trump allerdings gefallen dürfte, wenn auch mehr in seinem Fuckfluchstil: „If fucking them think they can fuck me, I’ll fuck them all!“.
In die Geschichte eingegangen ist XY mit seinem ‚Kose- oder Spitznamen’ aus Kinderzeiten CALIGULA
Gaius Caesar Augustus Germanicus, Pontifex maximus,
Tribunicia potestas IV, Consul IV, Imperator, Pater patriae
So sein vollständiger Titel zum Zeitpunkt seines gewaltsamen Todes 41 n.Chr.
(caligula = Diminuitiv zu caliga, Soldatenstiefel, also „Soldatenstiefelchen“)
(Die Stelle im Politrätsel, an der der Chauffeur zum Regierungsmitglied gemacht werden sollte, war, abgewandelt, der Überlieferung entlehnt, nach der Caligula sein Pferd zum Consul zu ernennen drohte.)